Jürgen Rose

Die Spur des Geldes – Manipulation eines Beweismittels?

Am 7.12.1997 lag Jürgen Rose mit schwersten inneren Verletzungen im städtischen Klinikum Dessau, wo Ärzte noch um sein Leben kämpften. Er war stark unterkühlt, da er bei 0° Celsius nur mit T-Shirt und Hose bekleidet in einer Pfütze in der Wolfgangstr.15 in Dessau abgelegt worden war. Aufgrund der Schwere seiner Verletzungen kam er auf die Intensivstation und wurde notoperiert. Doch er verstarb am 8.12.1997 um 9.25 Uhr an den Folgen eines Polytraumas. Die Rechtsmedizin Halle stellte massive Hautunterblutungen, gebrochene Knochen, einen zerquetschten Hoden und eine Querschnittslähmung fest.

Routinemäßig wurden die Kleider von Jürgen Rose im Krankenhaus untersucht. Das nennt man dort „Eigentumssicherung“. Gelistet wurden: Hose, Pullover, wahrscheinlich war damit sein T-Shirt gemeint, ein paar Schuhe, eine Unterhose, ein Personalausweis, ein Fahrzeugschein, ein Schlüssel, eine Armbanduhr und 11,50 DM in bar. Ein Portemonnaie war nicht dabei.

Jürgen Rose mochte keine Portemonnaies. Er war einer der wenigen Menschen, die ihr Geld immer in den Hosentaschen mit sich trugen. „Mein Sohn hat keine Portemonnaies benutzt, weil dieses die Hosentaschen so aufpauscht.“, erklärte seine Mutter Frieda Rose später der Polizei. Diese Angewohnheit bestätigte seine Witwe, Iris Rose, gegenüber dem Recherche-Zentrum.

War es Raubmord?

Eigentlich hatte der Revierkriminaldienst des Polizeireviers Dessau bereits am 7.12.1997 einen schweren Raub ausgeschlossen, „da der Rose im Besitz seiner Brieftasche und Papiere war und sich seine Jacke im Fahrzeug befand.“[1] Ab dem 10.12.1997 ermittelte dann die Polizeidirektion Dessau gegen die Polizeibeamten der Nachtschicht wegen des Verdachts auf körperliche Misshandlung von Jürgen Rose. Doch am 18.12.1997 änderte der zuständige Kriminaloberkommissar ohne eine plausible Erklärung die Ermittlungsausrichtung und zog einen „Raubmord“ als mögliches Motiv für die extremen Verletzungen von Jürgen Rose in Betracht.

In den Monaten nach dem Tod von Jürgen Rose wurden seine Familie sowie seine Freunde und Bekannten mehrmals zum Thema Geld befragt. Wie viel hatte er dabei? Hat er sich einladen lassen? Hatte er seine Rechnungen am Abend des 6.12.1997 selbst bezahlt?

Die Freunde, mit denen er gewohnt und zuletzt seine Zeit verbracht hatte, äußerten bei ihren Befragungen, dass er „sein gesamtes Geld, welches bis Januar 98 reichen sollte, in seinen Taschen lose mit sich führte.“[2]

Laut Aktenlage half Iris Rose den Ermittlern zudem mit einer handschriftlichen Aufstellung der letzten der Familie bekannten Geldbeträge: Am 4.11.1997 hatte Jürgen von seiner Mutter eine Summe von 1500,- DM in bar erhalten. Davon habe er zwischenzeitlich ca. 200,- DM bei einem Wochenendbesuch in Dresden und ca. 300,- DM in Dessau ausgegeben.

Frieda Rose hatte den polizeilichen Ermittlern zudem eine weitere Angewohnheit von Jürgen mitgeteilt: „Zur Aufbewahrung des Geldes, welches mein Sohn bei sich führte, kann ich sagen, da[ss] er es nie als Gesamtbetrag an einer Stelle aufbewahrt hat. Er hatte sein Geld immer am Körper. Mein Sohn hatte immer einen kleineren Geldbetrag separat getragen, damit er im Falle eines Angriffs auf seine Person einen kleineren Geldbetrag hingeben konnte. Ich kenne meinen Sohn so, da[ss] er garantiert immer Bargeld bei sich hatte. Er ist nie ohne finanzielle Rücklage irgendwohin gegangen.“

Den Erklärungen der Familie und der Freunde folgend ließe sich daraus schlussfolgern, dass Jürgen Rose, als er am 7.12.1997 von den Beamten der Nachtschicht ins Polizeirevier mitgenommen wurde, ungefähr 1.000 DM lose in seinen Hosentaschen bei sich gehabt haben müsste. Im Krankenhaus waren aber nur 11,50 DM sichergestellt worden.

Der Kriminaloberkommissar kam am 15.9.2000 trotz all dieser Informationen in seinem Abschlussbericht zum Fall Rose zu folgender Zusammenfassung: „Ein vollendetes Raubdelikt ist nur schwer zu vermuten, da Rose seine Armbanduhr und seine Brieftasche bei sich hatte, als er gefunden wurde. Es könnte sich aber, zur Verteidigung seiner persönlichen Gegenstände, ein Kampf zwischen unbekannten Tätern und dem Rose zugetragen haben. In diesem Zusammenhang sei aber auch gesagt, dass bei den Ermittlungen nicht geklärt werden konnte, wieviel Bargeld genau der Rose zur relevanten Zeit bei sich hatte.“[3]

Das Asservat Hose

Am 7.12.2000, nur wenige Wochen nachdem der besagte Abschlussbericht formuliert worden war, und exakt drei Jahre nach dem Tattag, ereignete sich aber folgendes: Die Kleidung von Jürgen Rose wurde durch einen Laboranten des Landeskriminalamtes von Sachsen-Anhalt untersucht. Dieser hatte eigentlich den Auftrag zu überprüfen, ob sich an den eingesammelten Schlagstöcken der Polizeibeamten der Nachtschicht Faserspuren der Kleidung von Jürgen Rose feststellen ließen.[4] Das Ergebnis schien den Kriminaloberkommissar zu erstaunen: Der Laborant hatte zwar keine Faserspuren festgestellt, jedoch fand er im Asservat Hose überraschenderweise einen sehr hohen Geldbetrag. In seinem Behördengutachten führte der Laborant aus, „dass in der rechten Gesäßtasche der Hose (Spur 7) 800,- DM in 100,- DM Scheinen sowie in der vorderen rechten Tasche weitere Scheine (1 x 100 DM, 1 x 20 DM, 2 x 10 DM) festgestellt wurden.“[5]

Wie kann es sein, dass am 7.12.1997 im Krankenhaus Dessau in der Hose von Jürgen Rose lediglich 11,50 DM gesichert wurden, während drei Jahre später in denselben Hosentaschen rein zufällig 940 DM entdeckt werden?

Die Ermittler waren doch monatelang der Spur des Geldes nachgegangen. Ist es überhaupt möglich 12 Geldscheine in einer Jeanshose zu übersehen? Schließlich hatte ein 100 DM-Schein eine Größe von 15,4 x 7,4 cm und allein in der rechten Gesäßtasche befanden sich nun 8 dieser Scheine.

Iris Rose, die ja in wiederholten Gesprächen gegenüber den Ermittlern erwähnt hatte, dass ihr Mann Jürgen sein Bargeld immer lose in seinen Hosentaschen bei sich hatte, waren am 10.12.1997 vom Revierkriminaldienst die im Krankenhaus aufgefundenen 11,50 DM übergeben worden. Nach eigener Aussage hatte ihr der leitende Ermittler zudem versichert, dass die Hose untersucht und dass „alles ordentlich gemacht“ worden sei. Dem Recherche-Zentrum gegenüber erinnert sie sich, wie schockiert sie war, als dann plötzlich, Jahre später, dieser Anruf vom Kriminaloberkommissar kam, der ihr sagte: „Oh Frau Rose, Sie haben ja doch recht gehabt. Wir haben Geld gefunden und nicht wenig. Fast 1.000 Mark in seiner Hosentasche.“

Am 22.12.2000 dokumentierte derselbe Kriminaloberkommissar, dass er aufgrund der plötzlichen Entdeckung des langen gesuchten Geldes den damals verantwortlichen Kriminaltechniker des Reviers kontaktiert habe, „denn nach Aktenlage wurde doch die Bekleidung bei der Kriminaltechnik des Reviers Dessau als KT-Spuren erfasst und aufgenommen.“ Dieser konnte sich scheinbar noch gut an den Fall erinnern. Er berichtete, dass die Kleidung von Jürgen Rose, nachdem diese am 8.12.1997 aus dem Krankenhaus kam, zuerst zum Trocknen aufgehangen und anschließend kriminaltechnisch untersucht worden war. Als Erklärung dafür, dass das Bargeld in der Hose von Jürgen Rose erst jetzt aufgefunden wurde, erklärte er, „dass dann sicherlich die Hosentaschen nicht genau und gründlich inspiziert“ worden seien.“[6]

Mit dieser Antwort gab sich der Kriminaloberkommissar wohl zufrieden. Er ließ die Geldscheine einzeln abfotografieren und die Fotos der Asservatenliste beifügen. Leider kam es ihm, zumindest nach Aktenlage, nicht weiter fragwürdig oder gar verdächtig vor, wie es überhaupt möglich sein konnte, dass sich in den bereits im Krankenhaus ausgeleerten Hosentaschen einer Hose, die den Kriminalbeamten des Polizeireviers Dessau in einem Patientenbeutel übergeben worden waren, völlig überraschend fast 1.000 DM befinden konnten. Anstatt den Ungereimtheiten auf den Grund zu gehen, beschäftigte sich der Kriminaloberkommissar in den folgenden Wochen vornehmlich mit der Frage, welchen Familienmitgliedern welcher Anteil des Geldes zustand.

Der Weg der Hose

Das Recherche-Zentrum hat den Weg der Hose vom Krankenhaus Dessau in das Labor des LKA in Magdeburg auf Grundlage der Akten rekonstruiert:

Vom 7.12. bis zum 10.12.1997 wurden die Ermittlungen im Fall Rose vom Revierkriminaldienst des Polizeireviers Dessau, also dem Ort, an dem die mutmaßlich verdächtigen Polizeibeamten in der Nacht zum 7.12.1997 ihren Dienst taten, geleitet. Am 8.12.1997 wurde der Patientenbeutel mit der Kleidung von Jürgen Rose von einem Kriminalbeamten des Reviers abgeholt und an zwei Kollegen im Revier mit der Bitte übergeben, „diese fotografisch festzuhalten und augenscheinlich auf Unfallspuren zu untersuchen.“[7] Beim Ausbreiten der Sachen wurde festgestellt, dass diese sehr stark durchnässt waren, weshalb sie zum Trocknen aufgehangen wurden. Es wurde lediglich eine „Kleiderkarte“ mit der Auflistung der einzelnen Gegenstände angefertigt.[8]

Am Folgetag, dem 9.12.1997, erfolgte die Begutachtung. Zur Hose wurde dokumentiert: „1 x Jeanshose/Wrangler“ und „im Original/an den Hosenbeinen ausgeschnitten – Hosenbundknopf fehlt.“ Geldscheine wurden nicht erwähnt.

Aufgrund des Verdachtes, dass Polizeibeamte der Nachtschicht des Reviers in der Wolfgangstr. 25 Jürgen Rose misshandelt haben könnten, übernahm am 10.12.1997 das Fachkommissariat 2 der Polizeidirektion Dessau die Ermittlungen im Fall Rose. Es gibt keinen Beleg in den Akten darüber, an welchem Tag die Kleidung von Jürgen Rose aus dem Polizeirevier in die Polizeidirektion Dessau gebracht wurde, aber ein Vermerk deutet darauf hin, dass dies wahrscheinlich am 15. oder 16.12.1997 geschehen war: „Bevor die Bekleidungsgegenstände des Hans Jürgen Rose der Asservatenstelle übergeben wurden, wurden das T-Shirt und die Jeanshose kriminaltechnisch fotografiert.“

Dort verblieb die Hose knapp drei Jahre. Kurz nachdem der Kriminaloberkommissar seinen Abschlussbericht geschrieben hatte, wurde sie am 19.9.2000 in die Asservatenstelle der Staatsanwaltschaft Dessau gebracht. Dort blieb die Hose jedoch nicht lange. Schon am 8.11.2000 wurde sie per Kurier in das Labor des LKA nach Magdeburg gebracht, wo dann einen Monat später, am 7.12.2000, die 940 DM entdeckt wurden.[9]

Die Täter

Das Recherche-Zentrum geht davon aus, dass das Krankenhauspersonal die Hosentaschen von Jürgen Rose routinemäßig gründlich ausgeleert hatte. Auf diese Weise wurde neben seinem Personalausweis und dem Fahrzeugschein, welche sich in einer Art Brieftasche/Ausweishülle befanden, tatsächlich nicht mehr als die 11,50 DM aufgefunden. Daher muss das Geld zu einem späteren Zeitpunkt von jemandem in die Hosentaschen gesteckt worden sein.

Unserer Recherche nach hat sich die Hose nach dem Krankenhaus bis zur Untersuchung im Labor des LKA an 4 Orten befunden, an denen theoretisch die Möglichkeit dazu bestanden hatte:

    1. Im Polizeirevier Dessau zwischen dem 8.12.1997 bis max. 16.12.1997
    2. In der Asservatenkammer der Polizeidirektion zwischen dem 16.12.1997 bis 19.9.2000
    3. In der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft Dessau zwischen dem 19.9.2000 und 8.11.2000
    4. In der Asservatenkammer des LKA in Magdeburg

 

Da es sich hierbei ausschließlich um Orte handelt, zu welchen Zivilpersonen generell keinen Zutritt haben, hätten nur Polizeibeamte oder Staatsanwälte eine Manipulation an diesem Beweismittel durch das „Hinzutun“ eines hohen Geldbetrages vornehmen können. Es stellt sich hier die Frage, warum ein Polizeibeamter oder ein Staatsanwalt nachträglich 800 DM in die rechte hintere Gesäßtasche und 140 DM in die vordere rechte Tasche einer Hose stecken sollte, deren Besitzer an schwerster körperlicher Misshandlung verstorben ist.

Zur Beantwortung dieser Frage gilt es zwei zentrale Aspekte zu beachten:

Wer hatte das Wissen darüber, dass Jürgen Rose am 7.12.1997 eine so hohe Geldsumme lose und in zwei Hosentaschen in jeweils unterschiedliche Beträge aufgeteilt, bei sich hatte, so, wie seine Mutter die Angewohnheit ihres Sohnes beschrieben hatte.

Wer wusste nicht darüber Bescheid, dass die Hosentaschen bereits im Krankenhaus routinemäßig ausgeleert worden waren und sich bei einem nachträglichen Fund der 940 DM ein fragwürdiger Widerspruch zu den bereits aufgefundenen 11,50 DM ergeben würde?

Die Antwort auf die Frage, wer das Asservat Hose manipuliert hat, führt uns zu den Tätern selbst: Die einzigen Personen, die ein Interesse daran gehabt haben könnten, das Geld in die Hosentaschen eines Toten (zurück-)zulegen sind diejenigen, die das Geld auch herausgenommen haben.

Durch die Manipulation des Lagefilms ist es zumindest denkbar, dass die kriminelle Energie ausreichte, um auch ein weiteres Beweisstück zu manipulieren. Und das nachträgliche Hinzufügen von 940,00 DM war nur für diejenigen von Interesse, welche die hohe Summe, die Jürgen Rose laut Zeugen dabeihatte, wieder auszugleichen suchten. Ergo: die Täter.

An den Generalbundesanwalt:

Die hier dargelegten Schlussfolgerungen sollten für Sie von besonderem Interesse sein. Geht es hier doch um eine Erweiterung des Straftatbestandes: von Mord zu Raubmord.

Es scheint, dass man am 18.12.1997 zu Recht Raubmord in den Ermittlungen wieder als mögliches Motiv aufgenommen hatte, aber vor einem anderen Hintergrund als erwartet. Als die Todesursachenermittlungen weg von den Polizeibeamten der Nachtschicht hin zu unbeteiligten Anwohnern, Sturz aus dem Fenster oder Raubmord mutmaßlich geleitet wurden, hatte man wohl nicht gedacht, dass die Spur des Geldes wieder zurück zu den ursprünglichen Verdächtigen führen würde: den Beamten der Nachtschicht. Jedoch hat der Kriminaloberkommissar sich, nach dem ihm mitgeteilt wurde, dass die Summe sich verändert hatte, nicht darum bemüht diesen scheinbaren Wiederspruch aufzuklären und sich mit der Schutzbehauptung des Revierkriminaldienstes zufriedengegeben.

Denn diejenigen die 940 DM nachgelegt haben, wussten scheinbar nicht, dass im Krankenhaus routinemäßig eine Eigentumssicherung durchgeführt wird. Sie müssen zum Zeitpunkt des Zurücklegens davon ausgegangen sein, dass die Hose noch nicht untersucht bzw. noch kein fester Geldbetrag in den Akten festgeschrieben worden war. Ab dem Zeitpunkt der Eintragung des Betrages in den Akten hätte niemand ein nachvollziehbares Interesse an dessen nachträglicher Änderung gehabt, da dies verdächtig gewesen wäre. Die mutmaßlichen Täter könnten auf diese Weise versucht haben, die Beweislast für den Straftatbestand des Raubmordes zu verringern. Ihre Unwissenheit hat zum Gegenteil geführt.